Samstag, 17. Januar 2015

Die Schnitte in deiner Haut.

Ein Thema, dass bei Borderlinern oft sehr ausgeprägt vorhanden ist - bei Karo zum Glück weniger stark, als man das als Bild im Kopf hat -, ist Selbstverletzendes Verhalten.
Menschen, die sich nicht ritzen, und auch noch nie persönlich mit dem Thema zu tun hatten, stehen oft ziemlich ratlos vor der Tatsache, dass sich jemand freiwillig seine Haut zerschneidet. Wir tun uns schwer, zu verstehen, warum das jemand tut, und es macht uns - so glaube ich - auch ziemliche Angst.
Ich habe, auch wenn Karo sich in der Zeit unserer Beziehung relativ selten geritzt hat, viel darüber gelernt, habe eine Einstellung entwickelt (und verändert) und ein Stück weit gelernt, damit umzugehen.

Am Anfang meiner "Reise" durch die Welt des SVV war ich mit Karo noch gar nicht zusammen, als wir schon darüber geschrieben haben, dass sie sich früher geritzt hat. Für mich war das ein ungutes Gefühl, aber mit dem Bewusstsein, dass das vorbei ist, und es auch nicht stark war, war das für mich nur ein weiteres Kapitel in der Geschichte ihrer Vergangenheit.

Eines Tages aber hat Karo sich doch wieder geritzt. Sie hat es mir erzählt - was mir immer sehr wichtig war und immer noch ist -, und für mich war das ein riesiger Schock. Zwar hatten wir, wenn ich mich richtig erinnere, vorher schon manchmal darüber geschrieben, dass sie den Drang dazu verspürt, aber dann der Gedanke, dass sie es nun getan hat - es ist schwierig zu beschreiben, was mir in diesem Moment im Kopf rum ging. Ich war zum einen dankbar, dass sie es mir nicht verheimlicht hat. Dann war ich geschockt und überfordert; wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Und dann war da dieses schwer einzuordnende Gefühl ... eine Angst, ein Unbehagen, eine Unvorstellbarkeit und ein Schmerz. Die Vorstellung, dass Karo, meine geliebte Karo, sich ihre Haut zerschnitten hatte, dass sie nicht eine Wunde heilen ließ - sondern sich eine zufügte! -, das war und ist schwer auszuhalten. Natürlich ist da das Bewusstsein, dass es einen Druck gibt, der sich aufbaut, und dass die Selbstverletzung einerseits Ausdruck eines Selbsthasses, und andererseits auch vor allem eine Erleichterung eines riesigen inneren Druckes bedeutet. Aber ich kann nach wie vor nicht richtig begreifen, was da vor sich geht, und nach wie vor treibt es mir einen Kloß in den Hals, wenn ich zu genau darüber nachdenke.

Nach diesem Erlebnis, als ich etwas distanzierter darauf blicken konnte, wusste ich vor allem nicht mehr, wie ich weiter vorgehen soll. Einerseits wollte ich Karo nicht bevormunden, die Selbstverletzung nicht verurteilen, ihr die Verantwortung für ihren Körper geben - und andererseits sprang bei mir eine Art Automatismus an, und ich wollte einfach verhindern, dass sie es wieder tat. Ich dachte, ich müsste jetzt tatsächlich nicht das tun, was sich richtig anfühlt (haha, das musste ich sowieso erst einmal heraus finden, was das denn sein sollte...), sondern das, was "pädagogisch" richtig war. Wenn ich das im Nachhinein jetzt aufschreibe, wird mir beinahe schlecht dabei. In einer Beziehung ist das so was von unangebracht, dem anderen zu sagen, was er machen soll - auch wenn man es noch so gern möchte. Ich kann Karo sagen, dass ich nicht glücklich damit bin, wenn sie sich verletzt. Aber ich habe nicht im Ansatz das Recht dazu, ihr Verhalten zu beeinflussen, sie zu "erziehen", oder ähnliches.
Eine Zeit lang habe ich diesbezüglich mit mir gekämpft, und auch mit einer befreundeten angehenden Therapeutin darüber gesprochen. Am Ende stand zum Glück die einzig sinnvolle Entscheidung, die man eigentlich gar nicht als solche bezeichnen kann: Karo trifft ihre eigenen Entscheidungen. Ich kann und darf nicht die Verantwortung dafür übernehmen, was sie tut.
(Das ist auch jetzt noch meine Sichtweise, allerdings mit einer Ergänzung: Karo ist, genauso wie ich, dagegen, dass sie sich verletzt. Sie tut es, wenn sie keine andere Alternative mehr sieht, ihre Gefühle in den Griff zu bekommen. Aber sie will genauso wie ich, dass sie sich nicht ritzen muss. Dieses Bewusstsein hatte ich nicht immer, aber es macht es mir möglich, dieses Verhalten nicht nur zu akzeptieren, sondern ihr zu vertrauen.)

Die restliche Zeit kam es hin und wieder, sehr selten, vor, dass Karo zur Klinge griff (die Vorfälle in eineinhalb Jahren kann man, glaube ich, an einer Hand abzählen). Erst in letzter Zeit ist der Druck auf Karo so groß, dass sie sich öfter selbst verletzt - beinahe regelmäßig. Trotzdem gilt weiterhin, dass ich ihr vertraue. Sie hat sich sogar so sehr dafür geschämt, dass sie sich zurzeit so oft ritzt, dass sie es mir einige Zeit nicht sagen konnte. Und das, obwohl ich zwar meistens geschockt war, sie aber nie verurteilt habe. Wenn Karo sich vor sich selbst so sehr dafür schämt, dann kann ich ihr auch nicht böse sein, dass sie mir trotz unserer Abmachung nicht gleich erzählt hat, was passiert. Im Gegenteil bin ich sogar beeindruckt, dass sie sich nach relativ langer Zeit immer noch getraut hat, mir zu sagen, dass sie mir etwas verheimlicht hatte - wofür sie sich auch noch schämt. Und ich weiß: Karo möchte das nicht. Sie bemüht sich nach Kräften, sich nicht ritzen zu müssen. Und mit allem, was zurzeit passiert, würde ich Karo als allerletzte dafür verurteilen, dass sie es nicht immer schafft. Sie schafft es vielleicht sogar noch öfter als sonst: Aber das Bedürfnis ist halt durch so enorme Belastung viel öfter da, deshalb unterdrückt sie es total oft, und relativ gesehen sind es immer noch nur wenige Male, wo sie es nicht schafft.
Normalerweise denke ich auf diese Art, mit einigem Abstand, an das SVV. Abstand, das bedeutet, ich stelle es mir nicht bildlich vor. Einerseits möchte ich das zwar tatsächlich machen, und habe so ein Gefühl, als würde es mir helfen zu verstehen, wenn ich es nur genau genug wissen würde. Andererseits weiß ich aber nicht, ob das tatsächlich stimmt - und ob ich überhaupt in der Lage bin, es richtig zu begreifen, oder ob ich nur mit dem Verstand nachvollziehen, akzeptieren und vertrauen kann. Das Bild, wie sich Karo schneidet, wie Schnitte ihre Haut durchziehen - das kann ich immer noch nicht wirklich akzeptieren. Es ist so abstrakt, so schwer vorzustellen, und so schmerzhaft. Ich könnte jeden köpfen, der ihr auch nur im Ansatz weh tut - aber stattdessen tut sie es selber, und sie kann ich nur lieben.
Und wenn ich über ihre zarte, glatte Haut streiche, und weiß, wie sich an der selben Stelle die dünnen, gerade verheilenden Schnitte anfühlen, spüre ich wieder diesen Kloß im Hals, möchte weinen, und Karo ganz fest an mich drücken, um all ihren Schmerz mit Liebe zu ersetzen.
Ich möchte nicht, dass sie sich schneidet. Aber ich möchte es deshalb nicht, weil ich nicht will, dass sie so traurig ist. Und deshalb ist ihr Schneiden nichts schlimmes. Aber ihr Schmerz, der ist für mich so schlimm, dass ich diesen Post weinend fertig schreibe und sie einfach nur drücken, drücken, immer weiter drücken will, bis ihr nichts und niemand mehr das Gefühl geben kann, sie sei nichts wert - am wenigstens sie selbst.

Und eine Vorstellung dafür, was für eine Arbeit es sein kann, sich nicht selbst zu verletzen, das gibt Karo in ihrem wirklich tollen Blogpost über Skills.
Ich bin wirklich stolz auf sie, wie sehr sie an sich arbeitet, und finde nicht, dass sie sich verurteilen muss, wenn sie es manchmal nicht schafft. So einen Kampf würden nicht viele täglich schaffen.

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