Dienstag, 28. November 2017

Ein ganz schön liebenswerter Arsch.

Vor einigen Wochen hat mich Karo plötzlich angeschrieben: "Ich war ja schon irgendwie manchmal ein Arsch."
Daraus ist eine Unterhaltung entstanden darüber, wie sie sich früher oft verhalten hat (verhalten musste; in ihren Augen damals und um nicht kaputt zu gehen), und wie wahnsinnig weh mir das oft getan hat.

"Mir kommt es irgendwie so vor als hätte ich dich zeitweise ziemlich ausgenutzt..." hat sie geschrieben, "nur genommen anstatt mal was zu geben, und das ist arschig."

Ich habe mich damals kaum getraut, so was selbst zu fühlen, geschweige denn auch mal auszusprechen. Stattdessen habe ich mir Karos Verhalten immer erklärt. Und das war ja auch richtig so, sie hatte ja immer ihre Gründe und hat das nicht getan, weil sie Spaß dran hatte - für sie war das alles, wie sie mit ihren Gefühlen umgehen konnte. Das wusste ich auch damals schon. Und deshalb... naja, deshalb hab ich viel ausgehalten und mir eingeredet, dass es gar nicht alles so weh tut, wie es vielleicht getan hat. 

Karo hat diese Unterhaltung angefangen, nachdem sie alte Blogeinträge von mir gelesen hat. Das hab ich dann im Anschluss auch gemacht. Normalerweise mache ich das nie - eben weil es mir sehr schwer fällt zu sehen, wie viel ich weggesteckt habe und wegerklärt, ohne mir selbst die Gefühle zu erlauben, die ich eigentlich hatte. 

Hier zum Beispiel, Dezember 2014, "Nicht Bescheid wissen": 
In anderen Bereichen ist das schwerer. Ein Beispiel ist, dass Karo darüber gebloggt hat, dass sie mit ihrer Therapeutin über ihre Zukunft gesprochen hat, und über das Gespräch am Mittwoch (morgen) mit ihren Eltern.
Ich bin gerade sehr unruhig deswegen. Ihre Zukunft - das geht auch mich etwas an. Ich würde so, so gerne wissen, was sie besprochen haben.
Aber: Ich weiß ja auch, dass Zukunft für Karo ein ganz ganz schwieriges Thema ist. Es macht sie oft fertig, darüber nachzudenken. Und nicht zuletzt weiß ich, auch aus Erfahrung, dass Karo mir sagen wird, wenn es eine wichtige Entwicklung gibt. Diese Gedanken beruhigen mich. Ich weiß, dass ich Karo damit gut tue, wenn ich sie in Ruhe lasse, und dass sie mit mir reden wird, wenn sie 1. so weit ist und 2. der Bedarf da ist, ich also etwas wissen sollte (oder natürlich, sie einfach Lust dazu hat ;) ).

So ging es mir damals häufiger. Karo hat mir manchmal viel erzählt von sich, aber es gab auch sehr sehr oft Phasen und Momente, in denen ich kaum etwas von den wichtigen Dingen in ihrem Leben erfahren habe. Manchmal habe ich dann auf Umwege davon erfahren, zum Beispiel über so einen Blogeintrag. Oder sie hat Dinge nebenbei erwähnt, die mich wahnsinnig beschäftigt haben, ohne mir aber die Gelegenheit zu geben, mit ihr darüber zu sprechen.

Wie man aus dem Beispiel vom Blogeintrag sieht, habe ich vor allem mir zurechtgelegt, warum sie tut, was sie tut. Das war auch sehr wichtig für mich, denke ich, sehr richtig und sinnvoll. Aber nichtsdestotrotz hat es mir wahnsinnig weh getan, mich wütend gemacht und verletzt, und keine dieser Emotionen habe ich mir uneingeschränkt erlaubt. Erst recht keine Wut. Wütend? Ich? Nein, das war ich nie.
(Plot Twist: Ich war es doch. Und dass ich mir das nicht erlaubt habe, hat mir nur noch mehr weh getan.)

Auf dem Blog hier habe ich viel zurückgehalten. Die alten Beiträge zu lesen tut mir weh, weil ich zwischen den Zeilen den Schmerz erkenne, und wie sehr ich mich angestrengt habe, es absolut allen recht zu machen, worüber ich mich dann total vernachlässigt habe.

Ein paar Wochen nach der ersten Unterhaltung hat mich Karo besucht (zu einem unseren monatlichen Wochenendtreffen, die wir nach wie vor haben). Dort haben wir uns dann an einem Abend zusammengesetzt und ich habe ihr alte Briefe gezeigt, die ich an sie geschrieben habe wenn es etwas gab was ich ihr nicht sagen konnte, in der Hoffnung, dass irgendwann einmal ich dran bin, und sie auch meinen Schmerz aushalten kann.

Die Briefe sind alle in einem Buch. Der erste Eintrag ist vom 29. September 2014:
(...) Du brauchst mich zurzeit so sehr. Und seit ein paar Wochen oder Monaten habe ich, glaube ich, irgendwie den Clou raus, wie ich für dich da sein kann. (...) Aber das hat auch seinen Preis. Ich halte viel, viel mehr zurück als früher. Ich dränge dir keine Diskussionen und Gespräche mehr auf, wenn ich es irgendwie vermeiden kann. Aber das heißt eben auch, dass viele meiner Gedanken, Gefühle, Enttäuschungen, Sorgen... dass viel von dem für mich allein bleibt. Und das tut mir so weh und kostet viel Kraft. Ich kämpfe oft mit mir, weil ich das alles mit dir teilen, aber dich auch nicht belasten will. (...) Ich teile dir hier alles mit, wie es mir mit uns, mit unserer Beziehung geht, jeden Tag - zumindest hoffe ich das -, aber es belastet dich nicht und zerstört nicht den liebevollen Umgang momentan zwischen uns, der mich so glücklich macht. Aber wenn du stark genug bist, wenn du gesund bist - dann will ich dich aufholen lassen. Dann will ich dir zeigen, was ich dir jetzt alles nicht sagen kann. (...)"

 Über ein halbes Jahr lang habe ich immer wieder in das Buch geschrieben, wenn es Dinge gab, die ich Karo nicht direkt sagen konnte. Manchmal war ich sehr frustriert. Manchmal war ich sehr wütend - und hab mir das, in diesem Buch, endlich auch einmal erlaubt. Manchmal hat mir alles weh getan und ich war überfordert oder habe mir gewünscht, jemand anderen zu lieben, mit dem es vielleicht leichter wäre. Manchmal gab es auch gute Momente, in denen ich Karo ein bisschen in meine Probleme einweihen konnte und sie für mich da war.

An diesem Wochenende vor drei Wochen haben Karo und ich zusammen all diese Briefe durchgelesen und uns darüber unterhalten. Das war nicht immer leicht, für uns beide nicht, aber mir hat es auch wahnsinnig gut getan. Ich hatte es mir immer gewünscht und immer darauf gehofft, dass Karo eines Tages bereit wäre, mit meinem Schmerz von damals umzugehen. Aber in vielen Momenten habe ich nicht wirklich daran geglaubt.

In letzter Zeit geht es uns aber wahnsinnig gut zusammen, schon seit so vielen Monaten. Und deshalb war jetzt auch mal die Gelegenheit da, alte Wunden aufzugreifen und noch mal anzuschauen.

Wie Karo an dem Wochenende war, und wie wichtig das für mich war, lässt mir auch jetzt noch mal Tränen in die Augen steigen. Durch den direkten Vergleich mit ihrem früheren Verhalten ist mir so deutlich aufgefallen, an was für einem besseren Punkt wir jetzt so langer Zeit sind und wie weit wir uns weiterentwickelt haben - jede für sich, aber auch zusammen als Paar.
Karos ganze Aufmerksamkeit einfach bei mir zu haben und sie ganz für mich da sein zu sehen, in einem Bereich der sie eigentlich so persönlich betrifft und wo sie ja auch große Schuldgefühle haben könnte - das war so heilend. Dass wir so ernsthaft über unsere damaligen Probleme reden konnten und ich so sehr angenommen war. Für all das bin ich unglaublich dankbar.

Und es hat auch wirklich gut getan zu sehen, wie viel Weg wir zurückgelegt haben in den viereinhalb Jahren unserer Beziehung. Zwischen diesen schlimmen Momenten damals und heute liegen wirklich Welten. Auch damals gab es gute Zeiten, natürlich. Aber insgesamt weiß ich auch, dass ich wahnsinnig viel ausgehalten habe.
Und heute ist das einfach anders. Natürlich gibt es nach wie vor Dinge, die mich auch mal belasten. Wir streiten manchmal oder unterhalten uns sehr emotional über etwas, was eine von uns verletzt hat. Aber wir können das halt mittlerweile. Wir wissen beide viel besser, wie wir miteinander und mit uns selbst umgehen können, und deshalb ist unsere Beziehung um so viel gesünder.

Wir haben beide echt so viel zurück gelegt. Ich bin wahnsinnig stolz auf uns. Und ziemlich happy. :)