Sonntag, 10. Januar 2016

Die Angst, dass du stirbst.

Der Blogideekasten gibt regelmäßig Themen vor, die ein Ideenanstoß für Blogger sein sollen. Bisher bin ich noch nicht dazu gekommen zu einem der Themen zu bloggen, aber die aktuelle Idee ist Ängste, und dazu passt ein Thema sehr gut, zu dem ich schon länger mal schreiben wollte.

Die Angst, von der ich hier erzählen will, ist die Angst davor, dass Karo sich umbringt.
Es geht hier, wie zu erwarten ist, sehr konkret um Suizid. Wenn dir das zu viel ist, dann hör hier bitte auf zu lesen. Du wirst keine großen Infos verpassen, es geht nur darum, wie ich gelernt habe, mit dem Wissen umzugehen, dass Karo Suizidgedanken hat.

Als ich mich das erste Mal mit dem Thema konkret auseinandersetzen musste, hatte ich eine Nachricht von Karo falsch verstanden und dachte, dass sie mir erzählt hat, dass sie Suizidgedanken hat - obwohl es eigentlich um etwas ganz anderes ging. Ich kann mich an die Nachricht selbst nicht mehr erinnern, aber ich weiß noch genau, dass ich sehr geweint habe und noch mehr als Karo das Missverständnis aufgeklärt hat, und dass ich ihr ein kurzes Video gemacht habe indem ich darüber geredet habe wie sehr mich der Gedanke gerade fertig gemacht hat, und wie froh ich bin, dass ich es nur falsch verstanden hatte.
Zu dem Zeitpunkt waren wir höchstens ein paar Monate zusammen.

Eine zweite Situation an die ich mich sehr deutlich erinnere, war, glaube ich, vor etwas über zwei Jahren. Ich habe es als kurz vor Weihnachten im Kopf. Ich weiß nicht mehr, ob Karo da schon öfter mal erzählt hat, dass sie grundsätzlich/gelegentlich Suizidgedanken hat, oder ob es eher aus dem Nichts kam. Aber ich saß im ICE, auf dem Weg zu meiner Unistadt, und Karo war wegen etwas sehr verzweifelt, vielleicht auch wütend, ich weiß es (mal wieder) nicht mehr. Jedenfalls hat sie mir geschrieben, dass sie sich am liebsten grade aus dem Fenster stürzen würde. Ich glaube ich habe gefragt, ob sie das ernst gemeint hat oder nicht, und sie hat gesagt, sie hat es ernst gemeint. Der Rest war für mich eine Mischung aus blanker Panik und Hilflosigkeit und Horror. Ich glaube, Karo hat gesagt dass sie es nicht wirklich vorhatte zu tun, aber das Wissen, dass sie möchte, war zu viel für mich. Ich habe mit Karo geschrieben und die schlechte Verbindung im ICE hat mich in den Wahnsinn getrieben, ich habe versucht sie anzurufen und sie hat mich weggedrückt, ich habe beim Schaffner nachgefragt ob ich nachlösen könnte und im Zug sitzen bleiben könnte (weil er in ihre Richtung gefahren wäre) und überlegt, ob ich genug Geld für ein Taxi für über 100 km habe. Karo hat gesagt, wenn ich komme tut sie es erst recht, und ich bin ausgestiegen aus dem Zug, wo mich Menschen gehört haben wie ich heulend auf Karos Mailbox gesprochen habe, und in meiner Wohnung habe ich mich das erste Mal wegen so einer Situation übergeben, mehrmals. Später haben wir geskypet, sie ohne Bild, und ich habe ihr Harry Potter vorgelesen und versucht nicht zu weinen.

Viele Monate später, vor nicht ganz einem Jahr, gibt es eine weitere Situation an die ich manchmal denke. In der Zwischenzeit hatte ich mich an das Wissen, dass Karo Suizidgedanken hat, gewöhnt. Weitestgehend. So sehr man das eben kann. Wir saßen in einem Café vor einem Theater, wo wir ein Musical ansehen wollten, in dem es um die Geschichte einer Familie geht, deren Mutter depressiv ist. Irgendwie kamen wir dadurch auch auf Suizid zu sprechen, und ich habe gefragt, ob Karo es mir sagen würde, wenn sie es vorhätte. Sie würde nicht, hat sie gesagt, weil ich sie vielleicht abhalten könnte, und dann haben wir glaube ich weiter darüber geredet, recht konkret, aber nicht lange, weil ich Karo mit Tränen in den Augen gebeten habe aufzuhören, und sie hat gefragt was los ist, und ich hab gesagt dass mir das zu nah geht, und ich das nicht kann. Dann hat sie gelächelt und meine Hand gedrückt und gesagt dass ich nicht weinen soll, weil ich doch sonst mein Makeup verschmiere, und wir haben das Thema gewechselt.
Später haben wir noch einmal darüber geredet, darüber wie ich gern wissen will dass sie Suizidgedanken hat, aber die Details nicht aushalte, und dass sie zum Glück Freunde hat, mit denen sie das detaillierter besprechen kann. Und ihre Therapeutin.

Ängste kann man kleiner bekommen, indem man sich mit ihnen auseinandersetzt und versucht Lösungen für die Situationen zu finden, vor denen man Angst hat. Ich bin jemand, der gern einen Plan hat. Deshalb gehe ich oft mit Ängsten so um, dass ich mir die schlimmste Situation vorstelle, die passieren kann, und dann darüber nachdenke, wie ich damit umgehen könnte. Rettungsanker für das Worst-Case-Szenario. Wenn ich eine gewisse Vorstellung davon habe, wie ich beängstigende Erlebnisse bewältigen kann, dann ist auch die Angst nicht mehr ganz so groß und erdrückend.
Die Angst, dass Karo eines Tages ihren Suizidgedanken folgt und sich umbringt, ist sehr wahrscheinlich die größte Angst die ich je hatte. Sehr langsam, Schritt für Schritt habe ich mich an das Thema ran gewagt und noch immer geh ich langsam vor, immer nur so weit, wie ich gerade kann. So makaber es klingt, aber ich habe mir unzählige Male vorgestellt, wie ich erfahre dass Karo sich umbringen möchte oder umgebracht hat. Ich glaube nicht, dass das auch nur einmal ohne viele Tränen funktioniert hat. Aber jedes Mal hat es mir auch ein bisschen Sicherheit gegeben, dass ich mir zumindest schon mal Gedanken dazu gemacht hätte, was ich tun würde.

Seinen Frieden damit finden, dass der Partner manchmal nicht mehr leben möchte, ist nicht einfach. Seinen Frieden damit finden, dass der Partner tatsächlich nicht mehr lebt, ist vermutlich noch mal ein ganz ganz anderes Kapitel, das trotz aller Bemühungen außerhalb meiner Vorstellungen liegt, und ich könnte wohl nie dafür vorbereitet sein. Die Angst davor wird wohl immer irgendwie bleiben. Zum Glück ist sie auch eine sehr distanzierte Angst, weil ich großes Vertrauen darin habe, dass Karo nicht aufgibt, so wie sie ihr ganzes Leben lang noch nie aufgegeben hat.

Ich bin trotz allem Schmerz den es bringt sehr froh, dass ich mich mit all dem auseinandersetze und sogar so weit gehe, die schlimmsten Situationen in Gedanken durchzuspielen. Ich glaube, es ist eine der Methoden die für mich ganz wichtig sind, um gesund zu bleiben.

In meinen Augen sind Ängste, die man von sich schiebt, etwas was in unerwarteten Momenten an dir hochkriecht und dich erschrickt. Ängste, mit denen man sich auseinandersetzt, sind dagegen eine Chance zu wachsen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen